Die deutsche Chemieindustrie ist nach wie vor globaler Technologieführer und strotzt vor Innovationskraft. Dennoch steht die Branche vor zahlreichen strategischen und strukturellen Herausforderungen: Explodierende Energiekosten, globale Lieferkettenprobleme, zunehmende Nachhaltigkeitsanforderungen und eine extrem dynamische Wirtschaftslage. Das Problem dabei: Diese Faktoren können einzelne Unternehmen nur schwer beeinflussen.
Es gibt aber einige Problemfelder, die die Chemiebranche durch Digitalisierung proaktiv meistern können und sogar ungeahnte Chancen für den Unternehmenserfolg eröffnen.
Dabei geht es um:
Im
Gegensatz zu weitreichenden Digitalisierungsmöglichkeiten im Rahmen von
Industrie 4.0, z. B. im Bereich der Produktion oder Logistik, halten sich die
Investition und der Aufwand bei der Digitalisierung von Vertriebsprozessen in
Grenzen. Der mögliche Nutzen dagegen ist enorm. Wie das funktioniert, erfahren
Sie in diesem Artikel.
China
hat sich mittlerweile zu einem ernstzunehmenden Player in der globalen
Chemieindustrie entwickelt. Die zunehmenden umweltpolitischen Restriktionen in
Westeuropa und die damit verbundenen Kosten wird die Position Chinas in Zukunft
vermutlich weiter stärken. Längst sichern sich chinesische Unternehmen aber
auch andere asiatische Produzenten wichtige Marktanteile und schöpfen
Wachstumspotenziale ab. Und das nicht nur auf den Wachstumsmärkten in Asien,
sondern auch im Mittleren Osten, in Afrika, und in Zentral- und Südamerika.
Selbst in Westeuropa wird das steigende Marktengagement sichtbar. Dies ist
besonders fatal, da hier der Markt nur moderat wächst. Für die europäische
Chemieindustrie wird es so immer schwieriger, die gesteckten Umsatz- und
Gewinnziele zu erreichen.
Unter den genannten Aspekten haben konventionelle Vertriebsmethoden nur noch einen begrenzten Wirkungsgrad. Wie also kann die Digitalisierung der Chemieindustrie in diesem Bereich helfen?
Mit einem Online-Marktzugang können Chemieunternehmen rund um die Uhr ihr Produktsortiment anbieten und so neue Käufer erschließen. Auf Online-Marktplätzen oder mit einem eigenen Webshop lassen sich vertriebliche Skalierungseffekte nutzen: z. B.
Während
sich viele deutsche Chemiebetriebe dem Wettbewerbsdruck mit einer stetigen
Verbesserung ihrer Produkte entgegenstemmen, bieten hierzulande unbekannte
Anbieter aus Asien ähnliche Produkte online zu günstigen Preisen an. Vielen
Marktführern und Hidden Champions ist dies oft gar nicht bekannt. So wandern
online-affine Einkaufende nicht nur an neue Marktteilnehmer ab, sondern auch zu
anderen europäischen Wettbewerbern mit entsprechenden Online-Services.
Viele Hersteller unterliegen dem Irrtum, dass ihre Kunden das persönliche Gespräch mit dem Vertrieb und Außendienst oder den bewährten Print-Katalog schätzen. Dabei wird oft übersehen, wie viele Kunden und Interessenten sich lieber schnell und zu jeder Zeit online informieren und bestellen möchten. Innovative Wettbewerber greifen mit Online-Angeboten wertvolle Marktanteile ab.
Für die Zukunft eines Unternehmens eine latente Gefahr. Mit Hilfe eines eigenen Webshops kann diese Abhängigkeit jedoch strategisch gebannt werden.
Viele Unternehmen in der Chemiebranche liefern ihre Produkte an Erstausrüster/OEM (z. B. Automobilbranche), vertreiben ihr Sortiment über Distributoren (Großhandel) oder sind Lohnhersteller. Eines haben diese Unternehmen gemeinsam: Trotz marktführender Produkte und exzellentem Know-how fehlt ihnen der direkte Marktzugang.
Zahlreiche
Wirtschaftsexperten sind sich einig: Der Fachkräftemangel ist zukünftig das
größte Problem der deutschen und europäischen Wirtschaft. Unternehmen suchen
schon heute verzweifelt qualifiziertes Personal im Vertrieb. Erstaunlich ist
allerdings, dass immer noch so viele Personalressourcen für Routinearbeiten und
Standardprozesse wie z. B. das Anlegen von Aufträgen oder zur Auskunft
über Kundenpreise und Liefertermine vorgehalten werden. Auch hier lohnt sich
ein Umdenken: Fast alle vertrieblichen Standardprozesse lassen sich
digitalisieren. Vorhandene Mitarbeiter können das tun, was Maschinen (noch)
nicht können: Kundenbeziehungen knüpfen und erhalten, z. B. durch Akquisegespräche,
professionelle Beratung oder Unterstützung der Anwendungstechnik.
Trotz disruptiven Marktgeschehens halten viele Unternehmen an vermeintlich bewährten Vertriebsprozessen fest. Diese sogenannte „Legacy“ manifestiert sich in unzeitgemäßen Vertriebsformen (z. B. Verteilung von Printkatalogen, Außendienstbesuche) oder vielen Sonderregelungen, die manuelle Prozesse und hohe Vertriebskosten nach sich ziehen.
Statt teure Printkataloge zu produzieren, die einen Großteil der Ansprechpartner nicht mehr erreicht, helfen digitale Kataloge beim schnellen Auffinden der Produkte und sind dabei stets aktuell.
Mit Online-Self-Service-Portalen haben Kunden jederzeit Zugriff auf alle Belege wie Rechnungen, Lieferscheine, Gutschriften, Backorder oder Liefertracking. Der Kunde ist begeistert und der Vertrieb wird entlastet.
Neue Möglichkeiten bietet auch der Einsatz von IoT-Geräten. Diese ermöglichen eine komplett automatisierte Nachbestellung, z. B. für Flüssigkeiten, Schüttgut und Stückgut. So sparen sowohl die Kunden als auch der Lieferant die Kosten für Beschaffungsprozesse.
Viele Unternehmen stellen sich die Frage, ob ein Marktplatz (z. B. amazon Business, Wucato, Alibaba usw.) besser geeignet ist oder aber der eigene B2B-Onlineshop. Die folgende Übersicht stellt Vor- und Nachteile der Absatzkanäle gegenüber.
| Eigener Shop | Marktplatz |
---|---|---|
Marktzugang, Wettbewerb & Preis | Eigener Marktzugang Keine weiteren Wettbewerber im eigenen B2B-Shop. Preisvergleich wird den Kunden erschwert. | Kein eigener Marktzugang. Viele weitere Wettbewerber im Shop. Der Kunde kann das Angebot von zahlreichen Wettbewerbern vergleichen und zum niedrigsten Preis kaufen. Keine Möglichkeit. |
Kundenindividuelle Preise/Konditionen | Können angezeigt werden | Keine Möglichkeit |
Kundenindividuelle Sortimente | Können angezeigt werden | Keine Möglichkeit |
Kundenindividuelle Informationen | Wie z. B. Downloads, Verträge, Artikelnummern usw. können angezeigt werden. | Keine Möglichkeit |
Liefertermine | Mit ERP-Anbindung können aktuelle Liefertermine angezeigt werden. | Ggf. nur generelle Verfügbarkeitsanzeige möglich ohne Mengen-/Terminbezug. |
Nutzung von Daten | Datenbasis des Shops kann für Optimierungszwecke genutzt werden. | Keine Nutzung der Daten möglich. |
Service Portal | Bereitstellung von Belegen wie z. B. Rechnungen, Lieferscheine, Backorder möglich. | Keine Möglichkeit. |
User Experience | Den Grad der User-Experience bestimmt der Shop-Betreiber. | Den Grad der User-Experience bestimmt der Portalbetreiber. Oftmals ist das große Angebot an Produkten sehr unübersichtlich. |
Kundenservice | Kunde kann bei Fragen im Unternehmen anrufen und Beratung erhalten. | Keine Beratungskompetenz beim Marktplatz vorhanden. |
Grund für den Kauf | User Experience, verbindliche individuelle Konditionen, ausführliche Produktbeschreibung, Service, verbindliche Lieferfähigkeit. | Das einzige Differenzierungsmerkmal ist oft nur der Preis. |
Kundenbindung | Eigener Shop = eigene Kunden. Große Einflussnahme auf Kundenbindung möglich. | Die Kunden „gehören“ dem Portal. Kaum Einflussnahme auf Kundenbindung möglich. |
Initialkosten | Zunächst ist eine Investition in das B2B-Shopsystem erforderlich. Bei höheren Auftragsvolumina skalieren die Kosten gegenüber den anfallenden Provisionen der Marktplätze stark nach unten. | Keine, kaum oder sehr geringe Initialkosten. |
Laufende Kosten | Laufende Kosten für Hosting, Wartung, Updates und ggf. Erweiterungen. Bei höheren Auftragsvolumina skalieren die Kosten gegenüber den fälligen Provisionen der Marktplätze stark nach unten. | Keine laufenden Kosten. Die Marktplatzanbieter fordern allerdings im Verkaufsfall eine Provision von 5 bis 40% des Produktpreises (je nach Anbieter und Warenklasse). |
Vermarktungskosten | Je bekannter ein Produkt/eineMarke ist, desto geringer sind die Vermarktungskosten. Bei einer Expansionsstrategie sollten zusätzlich Kosten für die Vermarktung eingeplant werden. | Keine zusätzlichen Kosten. |
Interner Aufwand | Produktdaten müssen zunächst digital verwertbar aufbereitet werden. Der interne Aufwand für das Einführungsprojekt sollte eingeplant werden. Der interne Aufwand ist im laufenden Betrieb geringer, da i.d.R. alles über das ERP-System gesteuert wird. | Produktdaten müssen zunächst digital aufbereitet werden. Wenig Aufwand für die Listung auf dem Marktplatz. Ggf. Medienbrüche beim Auftragseingang (z .B. ERP). |
Wie aus der Tabelle ersichtlich ist, bietet ein eigener Shop mehr Vorteile gegenüber der Nutzung eines Marktplatzes. Marktplätze dagegen können durchaus als kostengünstige Alternative für kurzfristige Ziele oder als Einstiegsszenario genutzt werden. Der eigene B2B-Shop sichert dauerhaft den eigenen Marktzugang und die Autonomie des Unternehmens.
Vielen Entscheidern sind die Möglichkeiten der modernen Technologien nicht bekannt. Vermeintliche Hinderungsgründe blockieren die notwendigen Neuausrichtungen für eine Skalierung durch Digitalisierung. Hier einige Beispiele:
„Unsere
Produkte sind für den Online-Verkauf zu speziell“
Kundenspezifische Produktsortimente, unterschiedliche Gebindeformen, Gefahrguthinweise, Exportkontrolle, Chargen-Informationen: Das sind nur einige wenige Beispiele von vermeintlichen Showstoppern für einen Onlineshop in der Chemiebranche. Mittlerweile gibt es B2B-Shoplösungen, die sich auf die Anforderungen der Chemiebranche eingestellt haben und genau solche Funktionen bereits im Standard abbilden.
„Unsere Kunden schätzen die persönliche Betreuung“
Die persönliche Betreuung wird durch einen Onlineshop nicht ersetzt. Im Gegenteil, E-Commerce sichert den Fortbestand des persönlichen Kontakts in der Zukunft. In Zeiten von zunehmendem Fachkräftemangel werden derzeit immer noch Vertriebsmitarbeiter für Routinearbeiten, wie z. B. Auftragserfassung, Heraussuchen von Belegen, Lieferterminauskunft usw. eingesetzt. Die durch Digitalisierung freiwerdende Manpower lässt sich für wertigere Tätigkeiten nutzen, wie z. B. Beratung, technische Anwendung und Kundenbeziehungsmanagement.
„Unsere Prozesse lassen sich nur schlecht digitalisieren“
In der heutigen disruptiven Welt haben Geschäftsmodelle mit stark individualisierten Prozessen keine Zukunft mehr. Daher geht kein Weg an einer Standardisierung und Automatisierung vorbei. Nur so sind Unternehmen in der Lage zu skalieren und wettbewerbsfähig zu bleiben. Daher sollte die Standardisierung von Prozessen im Unternehmen unabhängig von der Digitalisierung vorangetrieben werden.
„Unsere IT kennt sich nicht mit E-Commerce-Technik aus"
Moderne E-Commerce-Lösungen werden oft als eine SaaS-Lösung (Software as a Service) angeboten. Mit diesem Ansatz entfällt die technische Ownership im eigenen Unternehmen. Der Aufbau und das Vorhalten von speziellem IT-Know-how entfällt. Bei integrierten Shopsystemen wird der Onlineshop weitestgehend über das unternehmenseigene ERP- /Warenwirtschaftssystem verwaltet und gesteuert. Vorhandene Daten (z. B. Kunden- und Produktdaten) und auch bestehende Prozesse können so genutzt werden. Daher benötigen auch die Vertriebsmitarbeitenden keine zusätzliche Ausbildung.
„Die Kosten für einen eigenen Onlineshop sind viel zu hoch“
Im Vergleich zu den anderen Betriebsbereichen (z. B. Produktion, Logistik) ist die Digitalisierung des Vertriebs sehr kostengünstig und hat gleichzeitig einen hohen Wirkungsgrad. Die Kosten für die Einführung einer professionellen B2B-Shoplösung inklusive der notwendigen Integration in die bestehende Unternehmens-IT starten bei ca. 75.000,- €. Die Kosten für den laufenden Betrieb der Lösung beginnen bei ca. 30.000,- € im Jahr. Im Vergleich zu dem Gehalt eines guten Vertriebsmitarbeiters nicht gerade viel, wenn man bedenkt, dass der Shop 24 Stunden und an 365 Tagen im Jahr arbeitet.
Die Digitalisierung des Vertriebes ist für die Chemieindustrie eine echte Chance, um die aktuellen Herausforderungen schnell und effizient zu meistern. Sollte die Entscheidung für einen eigenen Shop fallen, so ist es ratsam gleich nach passenden B2B-Shopsytemen zu suchen. Viele erhältliche Shoplösungen sind nämlich nur für das Konsumentengeschäft und bilden die besonderen Anforderungen des B2B-Vertriebs nicht ab.
Autor
Martin Rommel
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